Donnerstag, 1. Juli 2010

Sexualität und Transformation


Sexualität hat in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Das ist nicht immer so gewesen. In England kannte man das aus unserer Sicht als sexuell verklemmt geltende puritanische Zeitalter, oder denken wir an das Ideal der Enthaltsamkeit, das besonders im Mittelalter viele Menschen ergriff. Heute macht anderswo der radikale Islam von sich reden, der sicherlich nicht ganz zu Unrecht unsere sexuelle Freizügigkeit als dekadent betrachtet. Welches Verhältnis aber sollte der geistig strebende Mensch, also derjenige, der an seiner Transformation arbeitet, zur Sexualität einnehmen? Auch hier sind die Ansichten geteilt, sind wir nicht unbeeinflußt von der Zeitströmung und den Resten der Vergangenheit. Sexualität gehört auch für den geistig Strebenden zu den unausgeleuchtetesten Themen.
Sollten wir die Sexualität frei ausleben? Eventuell auch mit verschiedenen Partnern? Oder sollten wir die sexuellen Regungen unterdrücken? Lässt sich Sexualität überhaupt transformieren? Und wenn, dann wie? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es deshalb wichtig zu untersuchen, was Sexualität überhaupt ist, und woraus die sich wandelnden Wertungen ihrer Rolle verstehen lassen.

Die ursprüngliche Funktion der Sexualität, wie wir sie im Tierreich und auch schon im Pflanzenreich beobachten können, ist nichts anderes als die Sorge um die Nachkommenschaft .
Im Pflanzenreich spielt sich die Sexualität ausschließlich unter kosmischen Ereignissen ab. Die Frühlingszeit ist die Zeit der pflanzlichen "Liebe", die sich allerdings völlig ohne Gefühl, ohne Erregung abspielt. Auch die Sexualität des Tieres steht wesentlich noch unter kosmischen Vorzeichen, allerdings spielen da schon Erregung und Gefühle eine gewisse Rolle, die aber bei den meisten Tieren eben nur zur Brunftzeit aktiviert werden.
Auch die Anfänge der Menschheit waren noch unter kosmischen Einfluß, von dem er sich allerdings immer mehr entfernte. Das führte schließlich dazu, daß sich der Mensch immer mehr als Einzelwesen empfand, inmitten ei nes Kosmos, in dem er sich ungeborgen fühlte.
Diese Loslösung vom Kosmos trug die Möglichkeit zur Chaotisierung des gesamten Daseins in sich, da eben der Mensch nicht mehr direkt von ihm beeinflußt ist. Sexualität diente seither nicht mehr ausschließlich der Fortpflanzung, sondern wurde Mittel zum Zweck, ja sogar reiner Selbstzweck.
Es wurde Aufgabe der Religionen, immer wieder diese ausufernden Begierden einzudämmen, damit sie nicht zur Zerstörung des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens (Krankheiten) führten.

Heute wirft man dem Christentum Sexualfeindlichkeit vor. Dieser Vorwurf trifft jedoch mehr oder weniger alle Religionen, aus oben genanntem Grund. Dass wir heute, selbst bei den abnormsten Praktiken, und unverhüllter Darstellung der Sexualität kaum noch Scham empfinden, sondern uns unserer "Freiheit" rühmen, ist nicht ein Zeichen der Weiterentwicklung, sondern tatsächlich des Verfalls. Ein weiterer Schritt auf den Abgrund zu.
Wir sehen das u.a. auch deutlich daran, daß die sexuellen Begierden selbst vor Kindern keinen Halt mehr machen.
Noch empört, man sich darüber, aber an homosexuelle "Ehen" hat man sich auch schon gewöhnt. Es gibt eben keine Grenze, wenn man nach den eigenen Begierden geht! Und tatsächlich ist es so, dass unsere Begierden uns schon weitgehend zum Maßstab geworden sind! Woher sollte auch eine Einschränkung kommen, wenn man die Religionen ablehnt?
Doch genügt es, die Sexualität einzuschränken? Gewiß nicht!
Denn wir wissen gerade aus puritanischen Zeiten, wo die Sexualität unterdrückt wurde, dass daraus nur Unheil resultierte. Freud wurde ja bekannt durch seine Aufdeckung sexueller Verdrängungen. Sex, in der Folge allerdings als zur Gesundheit dienlich anzusehen, schießt ebenfalls am Ziel vorbei.

Letzten Endes kommt es tatsächlich darauf an, Sexualität lediglich zur Fortpflanzung zu praktizieren bzw. ganz zu überwinden.
Das ist selbstverständlich keine Norm, die der Gesellschaft als Ganzes übergestülpt werden kann und zu deren Einhaltung jeder verpflichtet sei. Wünschenswert ist lediglich, daß das Wecken sexueller Vorstellungen und Begierden durch die Medien und die Gesellschaft wieder geächtet werden.
Dann laden wir wenigstens nicht mehr die Schuld auf uns, den Kindern falsche Leitbilder zu vermitteln. Weiterentwickeln kann sich der Mensch ohnehin nur noch durch persönlichen Entschluß. Dazu ist Orientierung nötig.

Weshalb sollte nun die Sexualität letztendlich über -wunden werden?
Wir sagten bereits, dass Sexualität der Fortpflanzung dient, dass die Sexualität, je mehr sich die Lebewesen selbst wahrnehmen können, mit Empfindung und Gefühl verknüpft ist, und aus der kosmischen Regelung der persönlichen Willkür anheimfällt. Sexualität wird auch von den Tieren als angenehm empfunden. Das ist deshalb der Fall, weil sich in ihr das Lebewesen seiner selbst am meisten bewußt wird.

Da Sex als angenehm empfunden wird, ja sogar am schönsten, ist mit dieser Empfindung gleichzeitig das Verlangen nach Wiederholung gegeben. Dieses Verlangen nach Wiederholung kann allerdings hauptsächlich nur beim Menschen in Erscheinung treten, da dazu gehört, dass man sich an Empfindungen erinnern kann. Sonst ist man nur auf äußere Auslöser, also Reize angewiesen. Bei einem Tier kann dieses Verlangen nicht entstehen, da es Gefühlsinhalte nicht selbsttätig aktivieren kann. Es ist also ausschließlich auf äußere Reize (Kosmos o. Beispiel der Artgenossen) angewiesen.
Wenn etwas so schön ist, und das sonstige Leben so viele Enttäuschungen bereithält, kommt dann der Mensch schnell wieder auf das Verlangen nach Sex. Je mehr aber das Verlangen gepflegt wird, um so größer wird es, d.h. um so häufiger möchte man Sex, oder er ist um so intensiver. Kurz, man kann tatsächlich völlig sexbesessen werden.
Triebtäter sind schließlich auch nur Menschen, die eine große Begierde haben, die sie aus irgenwelchen Gründen nicht befriedigen konnten, und die nun eben dermaßen nach Befriedigung drängt, daß sie Hindernisse gewaltsam niederreißt.
Andererseits erfolgt auch hier, wie in allen anderen Bereichen des Daseins eine Gewöhnung, d.h. Reize, die früher stark stimulierten, rufen nun nur noch ein Gähnen hervor, sodass der Mensch für die gleiche Befriedigung stärkere Reize benötigt. So werden schließlich immer mehr Tabus durchbrochen.

Vor Jahrzehnten, um ein Beispiel zu nennen, war eine nackte Frau in einem Kinofilm noch eine kleine Sensation. Schon wenn sich jemand küßte, wurde dies von Bemerkungen Jugendlicher begleitet. Wie sieht es dagegen heute aus? Es kommt in der Tat darauf an, daß die Sexualität entmystifiziert wird, in dem ihre psychischen "Wirkmechanismen" durchschaut werden. Nur so kann unser Leben gesunden.
Allgemein hört man die Ansicht, und es gibt sogar Ärzte, die diese weitergeben, daß mehr Sex neurotische Probleme oder Unterleibsbeschwerden lösen bzw. heilen würde.
Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber nur dort, wo eben Sex, bewußt oder unbewußt, einen hohen Stellenwert hat. Eine wirkliche Lösung ist es allerdings nicht.
Das Wesen der Sexualität besteht bekanntlich im Spannungsaufbau durch Stimulierung, hervorgerufen durch äußere oder innere Reize (z. B. Vorstellungen) und der auf dem Gipfel erfolgenden Entspannung, die wie ein Kollaps erfolgt.
Unser verkopfter Lebensstil baut im Laufe eines Tages eine gehörige Portion Spannung auf, d.h. es tritt ein Mißverhältnis zwischen der Seele, die Erfüllung sucht, und den Anforderungen des Tages, die diese Erfüllung nicht bringen, auf.
Dieser Lebensstil kann ebenfalls ein wesentliches Element der Sexualisierung unseres Daseins sein, da die Seele in der Vorstellung lebt, Sex bringe Entspannung, Erfüllung, - besonders nach vorangegangener Spannung. Wo sexueller Betätigung, aus was für Gründen auch immer, nicht nachgegangen wird, kann es deshalb zu nächtlichen sexuellen Träumen und (oder) Pollutionen kommen.
Ein Mensch, der genug Erfüllung erlebt, der täglich viel Freude hat, ein Mensch, der ausgeglichen ist, wird des halb weniger sexuelles Verlangen haben.
Ein spiritueller Mensch ist ein Mensch, der sich im Kosmos geborgen weiß (bzw. es anstrebt) und der deshalb auch im Alltag entspannter und ausgeglichener lebt. Er hat es nicht nötig, sich durch Vorstellungen große Reize aufzubauen, die zu Spannungen führen, nur damit er dann wieder entspannen kann. Ihm ist Sexualität nicht die größte Erfüllung, sondern das Leben an sich(Gott).
Freilich, das Problem bei den meisten Menschen besteht ja darin, das unbewußt sich schon genügend reizvolle Vorstellungen manifestiert haben und dieser Aufbau durch den äußeren Einfluß, den wir durch die Medien oder an dere Menschen ausgesetzt sind, weitergeführt wird. Deshalb ist es wichtig, auch diese äußeren Reize ganz nüchtern zu betrachten. Dann zeigt sich, daß hier,wie auch in anderen Bereichen nur künstlich etwas hochstilisiert wird.

Die primären Geschlechtsmerkmale sind so gestaltet, daß sie der Vereinigung zwecks Fortpflanzung am besten die nen, und als solche keinesfalls reizvoller als andere Körperteile. Im Gegenteil.
Ein männlicher Körper wird oft dann als schön empfunden, wenn er die Vorstellung von Kraft vermittelt. Eine Vorstellung, die ursprünglich auch nur aus dem Verlang en nach Fortpflanzung kam, da lebensfähige Kinder gewünscht wurden.
In gleicher Weise galt ein fülliger weiblicher Körper mit breitem Becken und großen Brüsten als reizvoll. Von dieser ursprünglichen Vorstellung, die aber noch z.T. im Orient verbreitet ist, sind wir westlichen Menschen weitgehend abgekommen.
Soviel aber sollte bis jetzt deutlich geworden sein, daß das was reizt, und die Intensität eines Gefühles ausmacht, keinesfalls nur natürlich, sondern überwiegend "kulturell" bedingt ist.
Deshalb muß niemand mehr länger drängenden Trieben, Begierden ausgesetzt sein, sondern der Mensch ist in der Lage, auf das natürliche Maß zu kommen, das eben in der Fortpflanzung besteht, oder eben (wenn keine Kinder gewünscht werden) auch im völligen Loslassenkönnen, wie das schon immer bei zahlreichen Yogis, Mönchen und Nonnen geschehen ist, ohne dass diese dabei irgendwelchen Schaden nahmen.

Vielleicht wird nun der eine oder andere Leser meinen, Sex habe doch auch etwas mit Liebe zu tun.
Gewiß sind solche Vorstellungen im Menschen miteinander verknüpft und deshalb auch wirksam. Doch müssen zwangs läufig diese Vorstellungen miteinander verknüpft sein? Kann man lieben ohne Sex?
Dort, wo die Liebe rein ist, und wir zeigten ja, wie sie rein werden kann, kommt sie ganz sicher ohne Sex aus. (Es sei an dieser Stelle hingewiesen auf ein Buch, das bereits 1987 erschien, und viell. noch erhältlich ist: Gabielle Brown "Liebe ohne Sex", Ullstein Tb 34447) Natürlich besteht das Wesen der Liebe in der Synthese, und so kann sich auch das körperliche Einswerden ganz natürlich ergeben. Gesetzmäßig ist dabei, daß wenn zwei Gegensätze sich vereinen, ein Drittes sich ergibt. Das wäre in diesem Falle das Kind.

Kann man aber dort, wo die Befruchtung verhindert wird, von einer wirklichen Vereinigung reden? Zum anderen definiert sich ja der Mensch objektiv (subjektiv tut er es leider allzu oft) nicht über den Körper. Sondern von anderen Lebewesen unterscheiden wir uns wesentlich dadurch, daß wir selbständige Seelen -und Geistesinhalte haben.
Wirkliche Vereinigung, also wirkliche Liebe, würde des halb eher bedeuten, daß wir an dem interessiert sind, was den Partner bewegt, dass wir Verständnis für ihn er langen, und ihn damit "in uns" aufnehmen, ja, daß man zu gemeinsamem Wirken gelangt. Dazu gehört allerdings Treue. So verstanden, zeigt sich die Sinnhaftigkeit der Ehe.

Wer sich aber wesentlich von Begierden und Gefühlen leiten läßt, ist unfähig zur Ehe, und damit zu wahrer Liebe. Ein Phänomen, das sich gerade in unserer Zeit zeigen muß.
Der spirituelle Mensch allerdings sucht vor allem in Harmonie mit Gott zu kommen, weil er weiß, dass nur dann, wenn die Grundlage stimmt, auch das andere, also die Ehe funktionieren kann.
Ein äußeres Zeichen für diese Gesinnung war die Eheschließung vor dem Altar, d.h. vor dem "Angesicht Gottes".

Vom Tod zum Leben


Burkhardt stand unter einer graustämmigen Buche. Seine Augen irrten leer und ausdruckslos über das feuchte und leicht faulig riechende Laub, hinüber zu der schmutzigen giftgrünen Flasche und dem zerknüllten, durchweichten Zeitungspapier, das unter einem Strauch lag. Dann sah er auf und sah das Dunkel der ihn umgebenden Bäume, satt vom Regen der vergangenen Woche und den Himmel durch die Zweige hindurch wie trübes, schmutziges Aufwaschwasser. Und da fühlte er die Qual eines zerbrochenen Traumes. Er hatte Kopfschmerzen bekommen.
Es war alles so anders als er es sich vorgestellt hatte.
Nichts war von den Verheißungen der lockenden Frühmorgenssonne geblieben, die ihn hinausgezogen hatte mit Bildern von lichtdurchschienenen grünen, gelben und blauen, etwas verschwommenen Punkten, wie man sie auf Farbaufnahmen sieht, die einen unscharfen grünen Hintergrund mit etwas Himmel haben und mit der Erinnerung an eine einsame, schwerzugängliche Lichtung, die durch umgerissene Bäume und Niederholz wie von einer Mauer umgeben war, in der hohes Riedgras wuchs, und in der man Lust bekam, sich auszuziehen und an eine gefallene Birke gelehnt oder im Gras liegend die Wärme und den einzigartigen Geruch des Waldes einzuatmen, die Schmetterlinge bei ihrem lautlosen Spiel zu beobachten, zu lesen oder einfach nur stille und nichts willentlich denkend offen sein für Wirkungen von "außen".
Statt dessen war die Sonne hinter eine große graue Decke geschlüpft und hielt Burkhardt zum Narren.
Unmerklich war der aufsteigende Dunst in sich zurückgesunken und schwelte am Boden entlang.
Was sollte er noch länger hierbleiben! Es war sinnlos zu warten, daß die Sonne wieder raus kam und es machte keinen Spaß, ohne sie durch den Wald zu gehen. Als er dies dachte, bemerkte er den Widerstand einer Erkenntnis, die ihm sagte, daß er bleiben solle, wenn er lernen will, als Mensch über die Natur, über seine eigene Natur zu herrschen.
Es kam ihm in den Sinn, daß die Verknüpfung en von sonniger Wald - "gut und schön", und dunkler nasser Wald - "schlecht", Lüge waren. Alles war schön und gut, wenn man selbst die rechte Einstellung dazu hatte. Es war das gleiche, wie wenn einer klassische Musik liebte und ein anderer ihr nicht mal fünf Minuten lang zuhören konnte. Und er, Burkhardt war nun der letztere von beiden. Was war nun klassische Musik, und was war der Wald wirklich?
Sie waren sich selbst genug und riefen je nach gespeichertem Programm des "Datenempfängers Mensch" eine ablehnende oder annehmende Reaktion aus.
Konnte denn der Mensch nicht denken, sollte es nicht möglich sein, das eigene Programm ständig zu ändern? Es mußte möglich sein, und Burkhardt beschloß, sich über seine Enttäuschung, dass er keinen sonnigen Wald gefunden hatte, hinweg zu freuen.
Er ging und sah eine ganze Weile einer Amsel zu, die wenige Schritte von ihm entfernt im Laub scharrte und versuchte, zu lächeln und froh zu sein und Freude in sich zu spüren. Doch seine Anstrengungen verstärkten die Kopfschmerzen und die leise Schwermut nur noch mehr.
Er fand keine Beziehung zu diesem Wald. Das negative Vorzeichen blieb, obgleich das Positive des Waldes durchaus existent war, aber es existierte außerhalb von ihm und rief in seinem Herzen keinen Widerhall hervor. Das muß der Tod sein, dachte er. So muß man ihn empfinden: Um einen herum das Leben, doch man selbst war davon isoliert, die Lebenssäfte hatten keinen Zutritt zu einem und was dann übrig blieb, war eben Qual. Gab es denn Erlösung aus dem Tod? - Nein.
So bleibt dir also nichts anderes zu tun, als auf der Schattenseite des Todes zu bleiben und dich damit zufrieden zu geben. Er ging jetzt auf einem Nadelteppich, streifte die dürren Ästchen von Fichten, hörte Stimmen, die seinen Willen anstachelten, gegen seinen jetzigen Zustand des Schmerzes aufzubegehren, doch er blieb fest: Nicht zu kämpfen, da er sich doch nicht befreien konnte , Das bedeutete, sich in das, was man allge meinhin als "Schicksal" bezeichnete, zu ergeben und als er dies wirklich tat, spürte er plötzlich, wie alles Schwere und Dunkle von ihm wich, wie die Kopfschmerzen wie weggeweht wahren. Er sah jetzt den Wald mit ganz anderen Augen an, mit einem Herzen, das ins Leben zurückgekehrt war und das Liebe und Freude empfand.
Er blieb stehen, und sah zu, wie die Vögel von Zweig zu Zweig hüpften, er sah Regentropfen wie silbrige Perlen im Moos blitzen, und er konnte nicht widerstehen, sich mit seinen Jeans in dieses Moos zu setzen und ein Stückchen aus der Erde zu reißen. Es war irgendein besonderes Moos und sah aus wie eine Anhäufung von Palmen en miniature. Wie war alles so schön und vielgestaltig! Es war wunderbar und Burkhardt war glücklich.
Nichts war schlecht oder gut, wenn man auf der Seite des Lebens stand. Da gab es nur Vielfältigkeit . Nur auf der Seite des Todes hatte man gute und schlechte Gefühle und teilte, die ganze Welt in gut und schlecht auf.
Dann begann er da rüber nachzudenken, wie diese Veränderung mit ihm geschehen konnte, wie es möglich war, daß er von der trüben, zerstörerischen Stimmung erlöst und augenblicklich in eine unzerstörbare heitere Ruhe der Glückseligkeit versetzt wurde. Er sah klar, daß der Grund für seinen Mißmut die enttäuschten Hoffnungen und Wünsche waren und es kam ihm wieder die Zeit zu Bewußtsein, wo er tiefgehende Wünsche hatte, die sich nicht erfüllten und wie seelisch krank er da von geworden war.
Er erinnerte sich, daß es ihm nicht gelang, einen Beruf zu ergreifen, der ihm Freude machte. Er erinnerte sich, wie sehr er ein Mädchen geliebt hatte und wie sie seine Liebe nicht erwiderte. Und er dachte daran, wie er einen internationalen Korrespondenzklub einschließlich einer vielsprachigen Klubzeitung gründen wollte, und wie er keine Genehmigung dazu erhielt.
Es war dies eine harte Zeit gewesen. Doch in ihr hatte er gelernt, daß unerfüllte Wünsche immer Leid nach sich ziehen und daß man dort, wo man die Umstände nicht ändern konnte, einfach nur seine Einstellung zu ändern brauchte .
Burkhardt ging leicht und unbeschwert zu seinem Moped, das er am Waldrand abgestellt hatte .
Er sah, wie eine Frau den Weg entlangkam und wie zwei kleine Mädchen vornweg hopsten und wie ihre Pferdeschwänze lustig im Takt wippten.
Als die Frau bei ihm war, fragte sie "Entschuldigen Sie, geht es hier nach Birnsbach?" Sie lächelte freundlich und er spürte, dass er sie liebte, genau wie er ihre Kinder liebte, die ihn nun auch umstanden, und wie er alle Menschen geliebt hätte, die ihm jetzt begegnet wären.
Er sagte ihr die Richtung, sie bedankte sich, dann setzte er sich auf sein Moped und fuhr davon, Eins mit sich und Eins mit der ganzen Welt.
Und nun ahnte er auch etwas davon, daß der Mensch im Grunde nichts zum Leben benötigte. Man konnte ganz genügsam und doch glücklich sein. Es war lediglich eine Sache des Denkens. (DDR, 1972)