Sonntag, 20. Juni 2010

In jedem Jetzt ist Ewigkeit


Im Anfang war das Wort, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist
durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Im
Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde
nichts, was geworden war.“ (Joh 1,1 ff)

Was wir Abendländer Gott nennen, ist der Urgrund des Seins, aus dem sich alles
Sichtbare und alles Unsichtbare entfaltet. Wir wissen heute, dass es Materie eigentlich
nicht gibt. Sie ist nur dieser formgewordene, namenlose, rational nicht begreifbare
Urgrund allen Seins. Jedenfalls sagt uns das die Quantenphysik. Z. B. der Astrophysiker
Russell: „Es gibt eine transrationale Bewusstheit. Sie ist eine extraphysische und
außerseelische Fähigkeit. Die einseitige Absolutsetzung einer vernunftgesteuerten
Existenz befriedigt nicht mehr.“
Die ganze Welt ist der göttliche Bereich. Es ist der Evolutionsprozess, der als Kosmos sichtbar und, für uns unfassbar, Gestalt annimmt. Was wir Gott nennen, ist der zeit- und raumlose, formlose Ausgang aller Formen, das was Johannes vom Kreuz Leerheit und der Mystiker Tauler Grund nennt und andere sprechen von Wesensnatur oder dem Numinosen. Es ist eine a-personale Bewusstheit,die unsere Ratio weit übersteigt, die sich aber ständig in Formen und Wesen darstellt.

Mystik ist die Erfahrung des Kommens und Gehens dieser Urform, die als Dynamik
ständig in Strukturen erscheint. Gott ist Bewegung, die aufblüht und vergeht. Er/Es
offenbart sich als Hier und Jetzt. Es gibt nur Zeitlosigkeit, in der die Formen aufflammen
und erlöschen. Das klingt wie Pantheismus, als ob alles Gott wäre, ist es aber nicht.
Alles ist nur eine Welle in diesem Ozean Gott. Eine Welle bleibt eine Welle, aber sie ist
auch der Ozean. Aus diesem göttlichen Urgrund kann nichts, aber auch gar nichts
herausfallen. – In jedem Jetzt ist Ewigkeit. Zeit macht unser menschlicher Verstand.

Gott ist also nicht eine Person, die außerhalb steht, von außen lenkt und ordnet, es ist
das Inwendigste des Kosmos. Was wir Gott nennen ist diese a-personale Bewusstheit,
die wir mit unserem Verstand nicht begreifen, die überfließt und sich in das ergießt, was
wir Schöpfung nennen. Eckhart kann daher sagen: „Gott ist ein Sich-selbst-Gebären, das
in sich glüht und kocht. … Leben besagt nämlich ein Ausströmen, ein in sich selbst
ergießen.“ (nach Quint, S.35) „Ein sich selbst gebären“.

Es gibt nicht den Gott mit Namen und Bild, mit Verkündigung und Dogmen, mit Tempel
und Verehrung, sondern nur den Gott des Augenblicks. Er hat immer nur das Gesicht der
augenblicklichen Form, in die er sich ergießt. – In jedem Jetzt ist Ewigkeit, ist
Zeitlosigkeit. Der Ozean wirft ständig Wellen und bleibt doch der gleiche Ozean.
So verstehe ich den Anfang des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort, und
das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und
ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist
durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden war.“ (Joh
1,1 ff) – „Alles ist durch das Wort geworden“, durch diesen Urgrund den wir Gott
nennen.

Es ist ein Gott, der nicht über oder hinter den Dingen steht, sondern als sie hervorbricht.
Er ereignet sich. Es ist der Gott, der die Schöpfung gleichsam tanzt. Wir sind ein ganz
individueller Tanzschritt dieses Tänzers. Er ist nicht einer, der etwas geschaffen hat und
dann von außen steuert, er ist das Kommen und Gehen selber. Eckhart nennt es ein
Überkochen und ein Sich-selbst-Gebären.“ (Quint).

Der Abgrund dieser Urwirklichkeit offenbart sich in allem, auch im Alltäglichsten, im
Normalsten und Gewöhnlichsten. Man kann nicht davon reden, weil Worte aus unserem
Verstand kommen und im nondualen Raum wertlose Instrumente geworden sind. Diese
Urwirklichkeit ist sprachlos im wahrsten Sinne des Wortes. Alle Religion, Theologie,
Theodizee und Philosophie sollten in dieses transrationale Begreifen hineinführen, aber
keinen Absolutsheits-anspruch erheben. Sie sind wie die Glasfenster einer Kathedrale,
die alle vom einen Licht erleuchtet werden. Wir sollten uns verstehen, als ein Zweig am
Weinstock, den wir Gott nennen. Es existiert nichts, was nicht Zweig am Weinstock
wäre.

Darum sagte Jesus: „Ich und der Vater sind eins." Das gilt für jeden Menschen und für
jedes Geschöpf. Und darum sagt Meister Eckhart: „Gott und ich – wir sind eins. Er wirkt
und ich werde.“ (Quint, 187) und darum sagen die Mystiker: ‚Ich bin Gott', d. h. ‚Ich bin
das Einzige'. Aber da spricht nicht das Ich, sondern der Urgrund, dem das Ich entsteigt.
Dort angekommen interpretieren wir auch unser religiöses Selbstverständnis anders und
deuten auch unsere Heilige Schrift anders. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt
Jesus zu Pilatus. Da ist kein phyischer Ort, an dem dieses Reich zu finden ist. Es ist hier
und jetzt. Es vollzieht sich als Hier und Jetzt. Um das zu begreifen musst du
wiedergeboren werden“, sagt Jesus zu Nikodemus. Hier und jetzt musst du diese neue
Geburt erfahren. Sie wird dir dein Leben ganz neue deuten. Und du wirst erfahren: In
jedem Jetzt ist Ewigkeit.

Und was ist der Weg in diese Erfahrung. Diesem Urgrund öffnen wir uns, wie sich die
Welle zum Ozean hin öffnet. Das ist das Gebet der Mystik. Ich bin ein individueller Ring
aus diesem „Gold Gott“. Ich bin Ring, aber Ring aus dem Gold Gott. Das ist nicht aus
dem Ich gesprochen, nicht das Ich sagt, ich bin Gott, es ist aus der Erfahrung der
Einheit gesprochen. Es ist die Unio Mystica. Darüber lässt sich weiter nichts sagen. Jedes
weitere Wort führt zu Missverständnissen. Man kann auch niemanden überzeugen. Man
kann nur einbrechen, dann bedarf es keiner Beweise mehr.

Das wirklich Verbindende ist die Leerheit, das Nada eines Johannes v. Kreuz, das
„nackte Sein“ nennt es ein anderer Mystiker. Aber was wir Leerheit nennen ist der
Urgrund aus dem alles kommt. Wer aus einer Erfahrung der Leerheit zurückkommt,
kommt zurück in die Zeit in der er lebt, in die Vorgabe seiner Gene, in seine
Konditionierungen, seine Religion und seine Erziehung. Er wird das Erlebte in diesen
Vorgaben auszudrücken versuchen. Aber er weiß, dass es nur der Wimpernschlag eines
virtuellen Hintergrundes im Hier und Jetzt darstellt. Er benützt die Bilder und Mythen
seiner Religion und seiner Zeit, um das zu deuten, was er auf einer „Nicht-Ebene“
erfahren hat.

Gott will nicht verehrt, Gott will gelebt werden. Er will als dieser Mensch, der ich bin,
gelebt werden. Es existiert eine Ebene in uns Menschen, da gibt es keine Asiaten,
Europäer, Afrikaner oder Amerikaner. Da gibt es keine Buddhisten, Hindus, Moslems,
Juden oder Christen. Da können wir dieses Eine erfahren, aus dem alle Religionen
kommen und auf das alle Religionen hinführen. – In jedem Jetzt manifestiert sich dieses
Eine. In jedem Jetzt ist Ewigkeit.
(Willigis Jaeger)

1 Kommentar:

  1. Hallo jes! Jetzt verstehe ich unsere geistige Verwandtschaft. Mein Verständnis von "Leerheit" hat zwar noch ein leicht andere Note (geprägt vom Theravada-Buddhismus), aber auf jeden Fall sprechen wir beide, wenn wir von Gott sprechen, von der einen, umfassenden Realität. Genauso verwende ich auch den buddhistischen Begriff "Dharma" (siehe hier: http://praesenz.blogspot.ch/2013/09/dharma-und-buddha-dharma.html).
    Liebe Grüsse!
    Ueli

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